Vor wenigen Tagen ist mein Kater gestorben. Nach etwas längerer Krankheit war es schließlich an der Zeit, seinem Leiden ein Ende zu setzen. Ich habe selten in meinem Leben etwas so Bizarres, Kompliziertes erlebt wie diese Momente, und wie ich so bin, denke ich seitdem viel (wirklich viel) darüber nach. Vor allem fühle ich nach, wie es mir geht, wie Trauer aussieht, was sie mit mir macht. Uns Schreibenden wird früh eingetrichtert, dass wir Menschen beobachten sollen, und dazu zählen natürlich auch wir selbst. In den letzten Tagen sind mir ein paar Dinge über meine Emotionen und meinen Umgang mit ihnen aufgefallen, die sich sehr gut auf das Entwickeln spannender, ausgewogener Figuren übertragen lassen. Und Schreiben lenkt ab vom traurig Sein. Hier also drei Punkte:
Gefühle sind kompliziert
Zu oft benutzen wir einfach Worte, um unsere Gefühle oder die Gefühle unserer Figuren zu beschreiben - Liebe, Hass, Trauer, Furcht, Freude -, und glauben, damit alles gesagt zu haben. Allerdings sind unsere Gefühle sehr viel komplizierter. Sicher trauere ich anders um meinen Kater, als ich um meine Großeltern getrauert habe oder um eine zerbrochene Beziehung. Vielleicht nicht mehr oder weniger, aber anders. Diese Nuancen unserer Emotionen sind es, die Kontext schaffen und uns zu bestimmten Handlungen veranlassen. Deswegen sollten wir auch bei unseren Figuren darauf achten, ihre Gefühlswelt genau und in all ihren Facetten zu beschreiben.
Im Deutschen können wir zum Glück auf ein großes Arsenal an Verben zurückgreifen. Der Protagonist liebt eine Frau - schön und gut. Aber auf welche Weise? Begehrt er sie oder verzehrt er sich nach ihr? Allein diese beiden Verben zeigen uns verschiedene Arten zu lieben: die eher körperlich getriebene, in der ein Hauch von Besitzenwollen mitschwingt, und die beinahe selbstzerstörerische, übermächtige, die ein Leben ohne diese Frau sinnlos erscheinen lässt. Die Wahl des richtigen Verbs gibt einer scheinbar einfachen Emotion Tiefe und Kontext und setzt sie ab gegenüber ähnlichen Emotionen.
Auch Beschreibungen, Bilder und Metaphern bieten schöne Möglichkeiten, einer Emotion einen eigenen Charakter zu geben. Zurück zum Beispiel oben: Vielleicht liebt der Mann die Frau auf die Art, dass ihre Umarmung sich für ihn anfühlt wie der Aufbruch in ein neues Abenteuer und gleichzeitig wie nach Hause kommen. Spielen Sie mit Bildern und Metaphern, aber seien Sie vorsichtig: Hier kann es schnell pathetisch werden.
Gefühle kommen selten allein
Seit unser Kater gestorben ist, fällt es leicht, zu sagen, dass ich traurig bin, denn natürlich herrscht dieses Gefühl gerade vor. Aber ich will nicht ignorieren, dass da auch noch andere Gefühle sind. Ich bin dankbar für neun Jahre mit einer Katze, die großartiger nicht hätte sein können. (Doch, Entschuldigung, er war die beste Katze der Welt, ich lasse keinen Widerspruch zu, alle anderen Katzen können einpacken.) Ich bin aber auch erleichtert, dass ich nicht mehr jeden Morgen aufstehen muss mit der Frage, wie es ihm geht, ob er die Nacht überstanden hat, ob er heute was fressen wird oder nicht. Ob heute vielleicht der Tag ist, an dem wir ihn gehen lassen müssen. Ich bin verwirrt, immer noch unterbewusst eingestellt auf die Routinen, die seine Pflege hervorgebracht haben, sodass ich manchmal vom Schreibtisch aufstehe, ohne zu wissen, was ich machen wollte, bis mir einfällt, dass dies eigentlich die Zeit für sein zweites Frühstück wäre. Und ich bin froh, weil ich glaube, dass wir einen wirklich guten Zeitpunkt gefunden haben, um ihn von seinem Leiden zu erlösen.
Das sind eine ganze Menge Emotionen, die alle gleichzeitig Platz beanspruchen und gefühlt werden wollen. Und die Wahrheit ist, dass auch gegensätzliche Emotionen gleichzeitig nebeneinander existieren können. Wir lieben unsere Kinder, auch wenn wir sie gerade auf den Mond schießen könnten. Wir lachen und weinen gleichzeitig auf Beerdigungen. Wir können einen Mentor verehren und gleichzeitig von ihm enttäuscht sein. Wenn wir unseren Figuren diese emotionale Komplexität erlauben, sie nicht nur auf ein Gefühl beschränken, machen wir sie nicht nur lebensechter, sondern können außerdem Spannungen kreieren, die unsere Geschichte vorantreiben können.
Jeder geht anders mit Gefühlen um
Als mein Mann und ich weinend über unserem toten Kater saßen, sagte er: „Solange er noch gelebt hat, musste ich noch nicht traurig sein.” Über diesen Satz habe ich viel nachgedacht. Ich bin die ganze Sache diametral entgegengesetzt angegangen. Seit der Diagnose im letzten September habe ich mir das unwiderrufliche Ende immer wieder vor mein inneres Auge geholt, bin die Situation wieder und wieder durchgegangen, habe quasi vorgetrauert. (Kleiner Tipp: Vortrauern funktioniert genauso wenig wie vorschlafen.) Mein Mann und ich, dieselbe Situation, dieselben Gefühle, vollständig anders gelebt.
Jeder von uns ist anders, wir alle haben unterschiedliche Erfahrungen gemacht, wir haben unterschiedliche Erziehungen genossen, sind vielleicht in verschiedenen Kulturkreisen aufgewachsen. Jeder hat einen eigenen Weg, mit Gefühlen umzugehen. Ob dieser Weg gesund oder ungesund ist, gut oder schlecht, sei erst mal dahingestellt. Wichtig ist, dass wir unsere Figuren so aufbauen, dass ihre Reaktion auf die eigenen Emotionen schlüssig für ihre eigene Lebenswelt ist. Auch hier kann Spannung erzeugt werden, wenn zum Beispiel eine Figur ein Gefühl nicht zulässt oder keinen Weg hat, damit umzugehen. Angst vor der Liebe, Scham wegen der eigenen Verletzlichkeit, unterdrückter Hass - daraus sind die großen Geschichten gestrickt.
Geben Sie Ihren Figuren Abgründe. Erlauben Sie ihnen, widersprüchlich zu sein. Denn Menschen sind kompliziert und wild und hässlich und großartig. Und manchmal auch traurig.
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