Die kurze Antwort: Nein! Dennoch stolpert man in Foren und Facebook-Gruppen immer wieder über die Sorge, dass LektorInnen den eigenen Stil beeinflussen und damit die Individualität des Romans zerstören könnten. Deswegen scheuen einige AutorInnen davor zurück, ein Lektorat zu beauftragen, und bringen sich und ihr Buch damit um die Chance, noch besser zu werden, als sie es schon sind.
Keine Frage des Geschmacks
Oft höre ich, dass LektorInnen ja doch nur nach dem eigenen Geschmack beurteilen und ein Buch dahingehend ändern, damit es so klingt wie die Bücher, die sie mögen. Die Wahrheit ist, dass die Arbeit eines Lektorats keine Frage des Geschmacks ist. Wir LektorInnen haben das, was wir tun, (hoffentlich) gelernt oder uns zumindest über viele Jahre erarbeitet. Wir haben volontiert, haben Ausbildungen und Fortbildungen gemacht, haben weit über unsere eigenen Vorlieben hinweg gelesen. Wir beschäftigen uns nicht mit Fragen wie „Was klingt hübscher?” oder „Welches Wort mag ich lieber?”, sondern mit objektiven Fakten über Lesegewohnheiten, Verständlichkeit, Grammatik, Story-Aufbau und dergleichen. Diese Fakten gelten über Genregrenzen und Schreibstil hinaus, und wer sie einhält, kann mit zufriedenen Lesern rechnen. Wer diese Regeln allerdings brechen will, sollte das bewusst und kalkuliert tun – und das vorher mit der Lektorin/dem Lektor besprechen, damit sie/er einschätzen kann, ob die Idee in der Praxis auch wirklich funktioniert.
Eine kleine Einschränkung zum Vorherigen: Geschmack ist insofern eine Frage, als dass viele LektorInnen sich auf Genres konzentrieren, die sie gerne lesen und in denen sie sich auskennen. So kann eine Spezialistin für Science-Fiction euch sagen, ob euer Sprachstil für das Genre zu blumig ist, während derselbe Stil im Genre Romance absolut angebracht wäre. Ihr solltet also sichergehen, dass die Lektorin/der Lektor eurer Wahl zu eurem Genre passt. Und dann auch deren Urteil vertrauen.
Ist das ein Stilmittel oder kann das weg?
Wie machen wir das mit Lektorieren nun genau? Wie gehen wir sicher, dass wir den Text angebracht beurteilen? Nun, wir haben eine lange Liste an Aspekten, auf die wir beim Lesen achten. Dazu gehören zum Beispiel Wiederholungen, Überbenutzung von Adjektiven und Adverbien, Schachtelsätze, passende Wortwahl und vieles mehr. Jedes Mal, wenn wir über ein Wort oder einen Satz stolpern, der unsere Alarmglocken schrillen lässt, beurteilen wir die Passage individuell. Hat der Autor/die Autorin diese Regel hier bewusst gebrochen? Ist das ein Stilmittel? Passt es in den Kontext? Entfaltet das Stilmittel hier auch tatsächlich seine Wirkung oder verwirrt es den Leser nur? Wird das Stilmittel zu häufig eingesetzt und fängt deswegen an zu irritieren? Gibt es einen eleganteren Weg, um dasselbe zu sagen und dieselbe Wirkung zu entfalten?
So kann es dazu kommen, dass wir etwas an einer Stelle anstreichen, es an anderer aber belassen. Nehmen wir das Beispiel Schachtelsätze. Ist ein Buch auf ganz normale Weise geschrieben, weist aber hier und da ein paar Schachtelsätze auf, kann man davon ausgehen, dass sie hier nicht mit Absicht, also nicht als bewusstes Stilmittel eingesetzt wurden. Dann schlagen wir eine bessere Konstruktion vor, die wahrscheinlich aus mehreren Sätzen besteht oder in der Überflüssiges gestrichen ist. Ist ein Buch allerdings so geschrieben, dass klar ist, dass lange Schachtelsätze zum Stil des Autors/der Autorin gehören, markieren wir nur da, wo Sätze wirklich unverständlich sind, und versuchen, die Sätze nicht zu kürzen, sondern lediglich umzustrukturieren, damit sie verständlicher werden. Das Ziel ist es also immer, den Stil beizubehalten und die Leserlichkeit zu verbessern.
Lass uns reden!
Damit AutorIn und LektorIn von Anfang an auf derselben Wellenlänge sind, ist es wichtig, miteinander zu reden. Ihr wisst am besten, was euren individuellen Schreibstil ausmacht, welches Ziel ihr verfolgt und was euch besonders wichtig ist. Vielleicht legt ihr keinen Wert auf ein vergnügliches Leseerlebnis und wollt stattdessen, dass LeserInnen über jeden dritten Satz stolpern und irritiert sind – was ein absolut valides Ziel ist. Wenn der Lektor/die Lektorin das weiß, kann er/sie dementsprechend euren Text bearbeiten. Wenn aber am Ende vielleicht der Kommentar kommt: „Ich verstehe, was du da machen willst, es funktioniert aber aus dem und dem Grund nicht”, dann sperrt euch nicht vor dem Dialog.
Und natürlich gilt immer: Außer den klassischen Korrekturen von Rechtschreibung und Grammatik ist alles, was wir tun, nur ein Vorschlag. Deswegen benutzen wir die Änderungsnachverfolgung und die Kommentarfunktion. Die letzte Entscheidung liegt immer bei euch Autoren, ob ihr eine Passage, ein Wort, einen Satz ändern wollt oder nicht. Allein deswegen können wir euren Stil nicht verändern. Es ist und bleibt euer Buch, wir sind nur Helfer, die mit euch zusammenarbeiten.
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