Sicher habt ihr schon mal den Tipp gehört, dass Dialoge natürlich klingen sollen. Aber was bedeutet das? Und wie weit müssen wir als Schreibende bei der Entwicklung der Figurenstimmen gehen? Schauen wir es uns an!
Wie sprechen wir Menschen?
Wenn ihr jemals in das Vergnügen gekommen seid, einen echten Dialog zu transkribieren, zum Beispiel eine Aufnahme von einem Interview oder einem lockeren Gespräch, wird euch eines aufgefallen sein: Menschen machen massenhaft Fehler. Wenn es schnell geht, das Gespräch fließt und wir unseren Standpunkt rüberbringen wollen, pfeifen wir auf die Grammatik. Wir brechen Sätze mittendrin ab, bauen Füllwörter ein, wiederholen uns, stocken, unterbrechen uns selbst und gegenseitig. Das ist nur sehr schwer lesbar, und in einem Roman wäre es unerträglich.
Wie geht Natürlichkeit in der wörtlichen Rede?
Was bedeutet es also, wenn wir Dialoge so natürlich und authentisch klingen lassen wollen wie möglich? Nun, es ist eine Gratwanderung, ein Zwischending zwischen der Art, wie wir tatsächlich sprechen, und dem Stil, in dem der sonstige Text verfasst ist. Hier sind ein paar Richtlinien, an denen ihr euch entlanghangeln könnt.
Die Sätze sollten kürzer und weniger komplex sein als im normalen Fließtext. Achtet selbst mal beim Sprechen darauf: Einen Nebensatz bekommen wir noch wunderbar hin, vielleicht einen zweiten, wenn der gesamte Satz nicht zu komplex und lang wird, aber mehr sollten es keinesfalls sein.
Wir benutzen in der wörtlichen Rede eher Perfekt als Imperfekt, wenn wir über etwas in der Vergangenheit sprechen.
Füllwörter können in Maßen benutzt werden, vor allem, wenn es zur Figur passt.
Mit der Grammatik nehmen wir es beim Sprechen nicht so genau, und das müssen auch die Figuren in der wörtlichen Rede nicht. Dennoch sollte das meiste richtig sein. Lockerer könnt ihr es beim Konjunktiv nehmen, und auch Dativ statt Genitiv ist in der wörtlichen Rede zwischendurch erlaubt.

Rede und Antwort
Dialoge passieren immer zwischen zwei oder mehr Figuren. Deswegen ist es genauso wichtig, dass die Dynamik des Dialogs natürlich wirkt, nicht nur Wortwahl und Grammatik.
Ein Fehler, den ich häufig sehe, ist der, dass Person A zwei Fragen stellt und Person B ausgiebig auf beide antwortet. Zum Beispiel:
Person A: Was machst du hier? Und wieso hast du diesen komischen Hut auf?
Person B: Ich wurde höchstpersönlich von Graf Grimm eingeladen, immerhin ist mein Vater sein Vetter zweiten Grades. Ich kenne ihn seit meiner Kindheit. Und was fällt dir ein, über meinen Hut zu lästern?
Bei solchen Konstruktionen passieren zwei Dinge: Wenn Person B Frage 1 ausladend beantwortet hat, ist Frage 2 schon so in den Hintergrund geraten, dass es gestelzt wirkt, wenn diese Frage auch noch beantwortet wird. Es unterbricht den Fluss und verlangt von den Lesenden, gedanklich zurückzugehen und sich Frage 2 wieder ins Gedächtnis zu holen.
Zweitens hat Person B eine emotionale Antwort auf Frage 2, eine spontane Reaktion, die aber durch die Antwort auf Frage 1 hinausgezögert wird und deswegen nicht mehr natürlich wirkt.
Schöner wäre es also, wenn ihr solche Konstruktionen aufteilt und erst die eine und dann die andere Frage behandelt. Oder Person B antwortet nur auf Frage 2 und vergisst Frage 1, auch das wäre eine natürliche Reaktion.
Anders ist es natürlich bei Fragen, die verwandt sind und sich knapp beantworten lassen. Beispiel:
Person A: Seit wann bist du hier? Und wie bist du hergekommen?
Person B: Wir sind vor zwei Tagen mit dem Zug gekommen.
Elegante Exposition
Ein weiterer Punkt, der Dialoge unnatürlich erscheinen lässt, ist, wenn die Figuren einander Dinge erklären, die sie schon wissen. Dies passiert meistens, wenn wir als Autor*innen bestimmte Informationen an die Lesenden weitergeben müssen und versuchen, sie in Dialogen unterzubringen. Prinzipiell ist die Idee gut, aber die Ausführung muss passen.
Stellen wir uns folgendes Szenario vor: Ein Paar geht in den Keller, um Wäsche zu waschen, und zwar mit einer Waschmaschine. Aber: Die Lesenden wissen nicht, was eine Waschmaschine ist. Es muss ihnen also erklärt werden. In solchen Situationen sehe ich manchmal Dialoge wie folgenden:
Figur A: Lass uns die schmutzige Wäsche in die Waschmaschine packen, damit sie wieder sauber wird.
Figur B: Nimm ausreichend Waschmittelpulver, damit auch die schweren Flecken rausgehen, wenn die Kleidung in der rotierenden Tonne gewaschen wird.
Figur A: Natürlich. Und erinnere mich in anderthalb Stunden daran, die gewaschene Wäsche aus der Maschine zu nehmen, um sie zum Trocknen aufzuhängen.
Ihr erkennt es wahrscheinlich selbst: Menschen, die Waschmaschinen kennen und seit jeher mit ihnen arbeiten, würden niemals so miteinander reden.
Wenn ihr ein Element des Weltenbaus unbedingt in Dialogform erzählen wollt, gibt es mehrere Möglichkeiten. Zum einen könnt ihr das Element über Fehler oder Probleme erklären. Wenn die Waschmaschine defekt ist oder die Wäsche nicht sauber geworden ist, habt ihr viel mehr Möglichkeiten, ihren Aufbau und ihre Funktionsweise darzustellen. Ist die Wasserzufuhr blockiert? Dreht sich die Tonne nicht? Hat die Maschine nicht richtig geschleudert? All diese Fragen können im Dialog gestellt und untersucht werden.
Eine andere Möglichkeit besteht darin, die Waschmaschine zum Stellvertreterthema zu machen. Dann geht es in der Konversation um etwas ganz anderes, zum Beispiel um die Beziehung, und die Maschine ist nur der Schauplatz, auf dem das Problem ausgetragen wird. Zum Beispiel:
Figur A: Wieso muss eigentlich immer ich die Wäsche machen? Deine Klamotten werden viel schneller dreckig.
Figur B: Das ist doch keine Arbeit. Du musst sie nur reinstopfen, den Rest macht die Maschine von alleine. Stell dich nicht so an! Außerdem sagst du immer, dass ich zu viel Waschmittelpulver benutze.
Figur A: Dann benutz weniger. Und das Aufhängen vergisst du auch immer. Beim letzten Mal hat die Wäsche zwei Tage feucht in der Maschine gelegen und schon gestunken, als ich sie gefunden habe. Ich durfte sie gleich noch mal waschen.
Und schon habt ihr die Funktionsweise der Maschine erklärt, ohne dass die Unterhaltung hölzern und unnatürlich klingt. Und sie hat eine zusätzliche Ebene für die Charakterentwicklung bekommen.
Ein tolles Beispiel für gelungene Exposition – also die Einführung in die Welt – ist übrigens die erste Folge von „Game of Thrones“. Schaut euch die Folge noch mal an und achtet darauf, was ihr auf subtile Weise in den Dialogen über die Welt und die Figuren erfahrt.
Stimmen der Figuren
Sicher habt ihr auch schon gehört, dass jede Figur eine eigene Stimme haben sollte. Das ist wichtig, denn die Art und Weise, wie eine Figur spricht, spiegelt ihren Charakter wider – genau wie im richtigen Leben. Dabei geht es um gesellschaftliche Aspekte wie Stand und Bildungsgrad, aber auch um ganz persönliche Eigenschaften. Eine aggressive Gang-Anführerin drückt sich sicher anders aus als eine devote Nonne. Indem ihr Wortwahl, Satzbau und Komplexität zwischen den Figuren variiert, bringt ihr die Figuren so richtig zum Leben.
Versetzt euch beim Schreiben in eure jeweiligen Figuren. Denkt bei jedem Dialog darüber nach: Würde diese Figur sich so ausdrücken? Würde sie diese Worte wählen oder vielleicht doch andere? Würde sie schimpfen oder sich entschuldigen oder ganz nüchtern bleiben? Würde sie ein Schimpfwort benutzen oder ein Sprichwort oder ein Fremdwort?
Aber auch hier ist Fingerspitzengefühl gefragt. Wenn ihr es übertreibt, kann es schnell wie eine Karikatur wirken. Euer Pirat sollte also nicht jeden Satz mit einem herzhaften „Harrrrr“ beginnen. Und ein Professor spricht nicht so geschniegelt, wie er in seinen Veröffentlichungen schreibt.
Fazit
Natürlichkeit ist in Dialogen das A und O, aber sie ist nicht identisch mit dem, was in unserer freien Wildbahn tatsächlich passiert. Orientiert euch an euren Lieblingsbüchern und untersucht die Dialoge. Wie spricht eure Lieblingsfigur? Wie spricht der Bösewicht? Außerdem gibt es im Internet Drehbücher zum runterladen. Da die zu einem Großteil aus Dialogen bestehen, sind sie ein gutes Hilfsmittel, wenn man mehr über das Schreiben von wirklich guten Dialogen lernen will.
Und natürlich gilt: Lektor*innen und Schreibcoaches können euch dabei helfen, euer Handwerk zu verfeinern. Meldet euch bei mir, wenn ihr Hilfe braucht.
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