Kurzgeschichten sind für viele Autoren eine Einstiegsdroge in die Schreiberei. Kein Wunder: Sie sind ein toller Weg, um schnell eine Idee zu Papier zu bringen, ohne dass aufwendige Planung nötig wäre. Viele sehen sie deswegen als eine Art Vorstufe zur Königsdisziplin des Romanschreibens. Damit tut man ihnen allerdings unrecht, denn Kurzgeschichten sind eine eigene Kunstform, und gute Kurzgeschichten zu schreiben, ist schwieriger, als manch einer denkt.
Was genau ist eine Kurzgeschichte?
Die Textgattung der Kurzgeschichte hat eine Jahrtausende alte Tradition, allerdings hat sie es erst im späten 19. und dann erneut im frühen 20. Jahrhundert zu wahrer Popularität gebracht. In Deutschland wurde sie die prägende Erzählform der Kriegs- und Nachkriegszeiten mit Vertretern wie Borchert. Gleichzeitig verbreitete sich die Gattung in den USA, in Großbritannien und Frankreich.
Wie der Name schon sagt, zeichnet eine Kurzgeschichte sich durch ihre Kürze aus. Dabei steht sie dem Roman und der Novelle gegenüber. Als Richtlinie gilt, dass eine Kurzgeschichte in einer einzigen Sitzung gelesen werden kann – eine genaue Seiten- oder Wortzahl gibt es allerdings nicht. Verschiedene Formen gehen von nur wenigen Wörtern (die sogenannte Flash Fiction) bis zu 30 oder 40 Seiten (wie zum Beispiel im Fall der Nobelpreisträgerin Alice Munro).
Dementsprechend sollte der Inhalt der Kurzgeschichte reduzierter sein als der eines Romans. Meist beschränkt sich die Kurzgeschichte auf eine Hauptfigur und einen Erzählstrang, sie deckt einen kürzeren Zeitraum ab und umfasst nur wenige Szenen, manchmal sogar nur eine einzige. Es fehlen also lange Expositionen. Ort, Zeit und Vorgeschichte müssen in Handlung und Dialoge verpackt werden und bleiben meist vage. Auch die Figuren sind nicht voll ausgezeichnet, vielmehr beleuchtet die Geschichte eine Krise oder ein Problem, das die Figuren haben. Das Ende kann offenbleiben.
Worauf muss ich achten, wenn ich eine Kurzgeschichte schreibe?
Ein Vorteil der Kurzgeschichte ist, dass sie meist viel weniger Vorbereitung braucht als ein Roman – auch wenn es AutorInnen gibt, die auch für Kurzprosa ganze Figurenblätter erstellen und die Vorgeschichte aufschreiben. Damit die Geschichte allerdings kurz bleibt, ist es sinnvoll, den Anfang und das Ende im Kopf zu haben, bevor man mit dem Schreiben anfängt. So geht man nicht das Risiko ein, immer weiter und weiter zu erzählen und so das Format zu sprengen. Reduktion ist das Stichwort – eine Tugend, die man üben sollte.
Dasselbe gilt für die Sprache. Gerade weil wenig Platz ist, sollte jedes Wort sitzen und jeder überflüssige Satz gestrichen werden. Knappe, aber genaue Beschreibungen sind essenziell für eine Kurzgeschichte, ebenso wie präzise Dialoge, in denen wirklich nur das gesagt wird, was für die Geschichte wichtig ist. Sprachlicher Tand und schmückendes Beiwerk, das in einem Roman auch mal verziehen wird oder sogar eine angenehme Pause einbaut, haben in der Kurzgeschichte nichts zu suchen.
Für den Inhalt gilt: so spät wie möglich in die Geschichte einsteigen, so früh wie möglich aussteigen. (Diese Regel gibt es übrigens auch für Szenen, ihr könnt sie auch da mal ausprobieren.) Auch hier wird also alles Überflüssige weggelassen, um sich auf einen erzählerischen Kern zu konzentrieren.
Warum sollte ich Kurzgeschichten schreiben?
Obwohl alle Welt unkt, dass niemand da draußen mehr Kurzgeschichten liest, sind sie eine wunderbare Form für Autoren und sollten nicht ignoriert werden. Wegen ihrer Kürze eignen sie sich als Spielwiese, auf der verschiedene Techniken und Herangehensweise erprobt werden können. AutorInnen können mit Perspektiven spielen, mal einen ihnen ganz fremden Sprachstil probieren, Erzählzeiten wechseln, in verschiedene Genres eintauchen und vieles mehr. Und weil die Geschichte eben kurz ist, hat man am Ende ein fertiges Produkt, und darauf kann man stolz sein – so bleibt auch die Motivation erhalten.
Zum anderen gibt es viele Möglichkeiten, mit Kurzgeschichten auf sich aufmerksam zu machen. Online findet man regelmäßig Ausschreibungen für Anthologien oder Wettbewerbe, an denen AutorInnen jeder Couleur mit Kurzprosa teilnehmen können. Zwar gibt es in den seltensten Fällen Geld dafür, aber als Belohnung winken Veröffentlichungen und manchmal Lesungen. Wer eine Verlagsveröffentlichung anstrebt, sollte diese Möglichkeit nicht außer Acht lassen, denn Verlage sehen es gerne, wenn AutorInnen Initiative zeigen und wenn ihre Geschichten bereits Erfolg gehabt haben. Über die verschiedenen Möglichkeiten, Kurzgeschichten zu veröffentlichen, könnt ihr euch in diesem Blogbeitrag informieren.
Fazit
Kurzgeschichten sind nicht nur eine wichtige Textgattung, mit der wir im Deutschunterricht gequält wurden, sie sind auch ein Trainingsfeld für AutorInnen, auf dem das Schreiben geübt und perfektioniert werden kann. Wer übrigens gerne Kurzgeschichten liest, sollte sich die Story App von brennt! nicht entgehen lassen. Hier gibt es viele zeitgenössische deutschsprachige Kurzgeschichten zum Mitnehmen direkt aufs Handy.
Und hier noch ein paar meiner liebsten Kurzgeschichtensammlungen:
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